Teil III – Das Volksparlament.eu

2. Das Volksparlament.eu und der ESM: Ein Beispiel, wie es funktionieren könnte

Wie die Entscheidungsprozesse ablaufen könnten, möchte ich am Beispiel des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) darstellen, der seit Dezember 2010 diskutiert und am 27. September 2012 in Kraft trat.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus war und ist durchaus umstritten. Vielleicht eignet er sich deshalb gut als Beispiel dafür, wie die Entscheidungsprozesse im Volksparlament.eu ablaufen könnten, um zu belegen, dass auch sehr umstrittene und schwierige Gesetzesvorhaben ordnungsgemäß abgestimmt und beschlossen werden können.

Der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus wurde als völkerrechtlicher Vertrag von den Finanzministern der Euro-Staaten beschlossen und von den Botschaftern der Ständigen Vertretungen der Euro-Staaten in Brüssel unterzeichnet, bevor ein Parlament über die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrages befinden und abstimmen konnte.

Im Rahmen eines Vertragsgesetzes hat der Deutsche Bundestag dem ESM-Ratifizierungsgesetz, dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) und einer Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes zugestimmt. Damit war allerdings eine Abstimmung über einzelne Inhalte des ESM-Vertrages nicht mehr möglich. Der Deutsche Bundestag hatte nur die Möglichkeit, diesem völkerrechtlichen Vertrag in Gänze zuzustimmen oder ihn abzulehnen.

Im zweiten Kapitel habe ich bereits die Schwächen beleuchtet, unter denen unsere heute gelebte Demokratie zu leiden hat: Am Beispiel des ESM-Vertrages kann man deutlich machen, dass die Stärkung Europas heute auf Kosten des Bundesstaates (und auf Kosten unserer Demokratie) erfolgt, wir können sehen, dass die Exekutive (hier: die Finanzminister) die Entscheidung im Kern getroffen hat, statt die Parlamente der Euro-Länder. Ein Politiker einer Regierungspartei konnte gar nicht anders, als diesen Vertragsgesetzen zuzustimmen, auch wenn dieser Politiker mit der Ausgestaltung des ESM, mit den Haftungsrisiken oder anderen wichtigen Fragen gar nicht einverstanden war.
Selbstverständlich wären die Einzelheiten des ESM-Vertrages bereits zur Abstimmung durch die Volksparlamentarierinnen gekommen, bevor die Finanzminister der Euro-Staaten den Entwurf dieses Vertrages unterzeichneten. Immerhin wurde über den ESM von der Bundesregierung seit dem 25. März 2011 informiert, mithin gut 10 Monate vor Unterzeichnung des Vertrages durch die Finanzminister. Da der konkrete Vertragstext nach meiner Recherche allerdings erst nach Unterzeichnung durch die Finanzminister veröffentlicht wurde, wäre eine vorherige Abstimmung im Volksparlament.eu gar nicht möglich gewesen. Deshalb wäre es nur denkbar gewesen, das Vertragsgesetz abzulehnen und dem Finanzminister die Weisung zu erteilen, einen neuen Vertrag mit den vom Volksparlament.eu beschlossenen Änderungen zu unterzeichnen, falls die Volksparlamentarierinnen dem ESM-Vertrag grundsätzlich zugestimmt, jedoch Änderungsbedarf am Gesetz gesehen hätten.

Mit der Einführung des Volksparlament.eu werden Fragen aufgeworfen, die die bisherige parlamentarische Praxis verändern werden, falls sich ein deutscher Finanzminister vor seinen EU-Kollegen nicht blamieren will. In meinem Beispiel gehe ich also davon aus, dass der ESM-Vertrag nicht das erste Gesetzesvorhaben ist, welches durch das Volksparlament.eu abgestimmt wurde, und dass die Exekutive gelernt hat, „wer Koch und wer Kellner ist“, um Altkanzler Schröder zu zitieren.

Der ESM ist eine „Wollmilchsau“, eine Institution mit fast uneingeschränkten Möglichkeiten zur Stabilisierung des Euro. Der ESM ist mit 700 Mrd. Euro Eigenkapital ausgestattet, kann direkte Finanzhilfe zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten leisten, Bürgschaften ausreichen, an Euro-Staaten Darlehen vergeben und Staatsanleihen von Euro-Ländern auf dem Primär- und Sekundärmarkt kaufen. Zur Erfüllung der Aufgaben des ESM kann dieser Kredite im Rahmen von Anleiheoperationen aufnehmen. Selbst unter Einhaltung einer Mindestkernkapitalrate plus Kapitalerhaltungspuffer von 7 % des Eigenkapitals, wie sie durch Basel III für Banken ab 2019 vorgeschrieben werden soll, hätte der ESM die Möglichkeit, Anleihen auszugeben (wie im Oktober 2012 und Februar 2013 geschehen) oder Kapital über die Europäische Zentralbank aufzunehmen. Mit diesem Kapital kann der ESM alle Staatsanleihen aller Euro-Länder aufkaufen. Die Staatsverschuldung aller Euro-Länder beläuft sich auf rund 10 Billionen Euro (Stand: 1/2013). Zugleich ist der ESM als Institution auf Gewinn ausgerichtet: Der ESM wird eine Anlagepolitik verfolgen, die ihm höchste Bonität sichert. Zugleich wird eine Dividendenpolitik verfolgt, die eine Ausschüttung der Anlageerträge an die Mitglieder des ESM, die keine Finanzhilfe durch den ESM erhalten haben, ermöglicht. Ein Beispiel: Würde der ESM die italienischen Staatsanleihen aufkaufen, die in 2013 (200,9 Mrd. EUR, Quelle: offizielle Angabe des Italienischen Finanzministeriums) refinanziert werden müssen, und hierfür 4 % Rendite bei Refinanzierungskosten von derzeit 0,75 % über die EZB erhalten, würde sich eine Rendite von rd. 6,5 Mrd. EUR pro Jahr ergeben. Wenn die Einschätzung von Prof. Peter Bofinger, Universität Würzburg und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zutrifft, wäre für Italien und Spanien im Jahr 2014 ein Gesamtfinanzierungsbedarf von rund 649 Mrd. Euro erforderlich (Quelle: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a08/anhoerungen/Fiskalpakt_und_ESM/Stellungnahmen/Prof__Dr__Peter_Bofinger.pdf). Das ergäbe eine Rendite von rund 22 Mrd. EUR pro Jahr.

Diesem durchaus lukrativem Gewinnversprechen und dem Umstand, dass durch die schiere Größe des ESM und durch seine ihm verliehene Macht die Spekulation gegen den Euro beendet werden könnte, stehen erhebliche Bedenken gegen diese Institution entgegen, wie sie größtenteils durch die einstweiligen Anordungsanträge vor dem Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gekommen sind. Die Bedenken reichen vom Demokratiedefizit durch die Entäußerung der Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages und die vom Deutschen Richterbund befürchtete Entkoppelung des ESM vom Rechtsstaatsprinzip aufgrund der Immunitätsregeln dieser internationalen Institution, über verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Unkündbarkeit dieser Verträge bis zu Bedenken unkalkulierbarer finanzieller Risiken für den Steuerzahler und der Einführung einer „Schuldenunion“ durch die Hintertür durch faktische Entwertung des Verbots des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Einrichtungen durch die Europäische Zentralbank und des Verbots der Haftungsübernahme.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens bereits die Erfolgsaussichten der Beschwerdeführer in der Hauptsache geprüft und die Anträge unter bestimmten Maßgaben abgelehnt – dennoch hätte das Volksparlament.eu die Möglichkeit gehabt, über diesen Vertrag politisch zu befinden – mithin nicht die Grenzen zum Verfassungsverstoß zu definieren, wie es alleinige Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist („Durften die Politiker das beschließen?“), sondern das zu beschließen, was uns sinnvoll erscheint.

Sicherlich haben Sie sich wie viele andere Menschen auch gefragt: „Wie hätte ich entschieden?“ Aus den vielen Möglichkeiten, wählen wir einfach einmal vier Entscheidungsvarianten heraus, die Sie hätten treffen können:

• Sie stimmen mit den vom Deutschen Bundestag getroffenen Entscheidungen vollständig überein;
• Sie sind grundsätzlich für die Einrichtung des ESM, halten es aber für erforderlich, dass nicht eine Troika über Wohl und Wehe eines ganzen Volkes entscheidet, sondern Parlamente;
• Sie halten den in Rede stehenden Betrag für die Bundesrepublik Deutschland für zu hoch und möchten nicht, dass Deutschland mit 21.717.120.000 Euro in diese neu zu schaffende Institution einsteigt, sowie eine Zahlungszusage von weiteren 168.307.680.000 Euro übernimmt.
• Sie sind grundsätzlich gegen die Zielrichtung des ESM und dem damit verbundenen Schuldentransfer.

Die 1. Variante und die 4. Variante sind schnell erklärt.

Der für die Entscheidung für oder gegen den ESM relevante Gesetzentwurf lautete wie folgt:
„Gesetz
zu dem Vertrag vom 2. Februar 2012 zur
Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus
Vom …
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Dem in Brüssel am 2. Februar 2012 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus wird zugestimmt.
Der Vertrag wird nachstehend veröffentlicht.
Artikel 2
(1) Erhöhungen des genehmigten Stammkapitals nach Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags bedürfen zum Inkrafttreten einer bundesgesetzlichen Ermächtigung zur Bereitstellung weiteren Kapitals.
(2) Der deutsche Gouverneur im Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im Falle einer Delegation der Entscheidung nach Artikel 5 Absatz 6 lit. m) des Vertrags der deutsche Direktor im Direktorium des Europäischen Stabilitätsmechanismus dürfen einem Beschlussvorschlag zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags nur zustimmen oder sich bei der Abstimmung über einen solchen Beschlussvorschlag der Stimme enthalten, wenn hierzu zuvor durch Bundesgesetz ermächtigt wurde.
(3) Änderungen des Stammkapitals nach Artikel 10 Absatz 3 des Vertrags und Änderungen des Beitragsschlüssels nach Artikel 11 Absatz 3 und 4 in Verbindung mit Artikel 11
Absatz 6 und Anhang I des Vertrags sind im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen.
Artikel 3
(1) Dieses Gesetz tritt mit Inkrafttreten des Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus, frühestens jedoch am Tag nach der Verkündung in Kraft.
(2) Der Tag, an dem der Vertrag nach seinem Artikel 48 Absatz 1 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.“
Bei der 1. Variante stimmen Sie im Plenum in der ersten Abstimmung über das ESM Ratifizierungsgesetz mit „Ja“. Sollte mit Ihnen eine Mehrheit der Volksparlamentarier.eu ebenfalls mit „Ja“ gestimmt haben, ist das Gesetz angenommen. Der Rat hätte dem Deutschen Bundestag mitgeteilt, dass der ESM vom Volksparlament.eu angenommen wurde und dass deshalb der Deutsche Bundestag dem Gesetzesentwurf ebenfalls zustimmen kann.

Bei der Variante 4. hätten Sie sich umgekehrt verhalten müssen: Sie hätten in der ersten Abstimmung über dieses Gesetz mit „Nein“ stimmen müssen. Wenn die Mehrheit der Volksparlamentarier.eu diesen Gesetzentwurf ebenfalls abgelehnt hätte, wäre es zu einer zweiten Abstimmung gekommen mit folgender Fragestellung: Sollen wir das Gesetz an einen Ausschuss (hier: Finanzausschuss) übersenden, damit das Gesetz verändert werden kann? Über diese Frage hätten Sie ebenfalls mit „Nein“ abgestimmt. Denn in der 4. Variante hätten Sie nicht gewollt, dass es einen anderen, modifizierten Stabilitätsmechanismus gibt, sondern gemäß der 4. Variante soll es überhaupt keinen ESM geben. Wenn die Mehrheit der Volksparlamentarier.eu ebenfalls mit „Nein“ gestimmt hat, wäre der Finanzausschuss mit dieser Gesetzesvorlage nicht befasst worden. Der Rat hätte dem Deutschen Bundestag mitgeteilt, dass der ESM vom Volksparlament.eu abgelehnt wurde und deshalb dieses Gesetz vom Deutschen Bundestag ebenfalls abzulehnen ist.

In der 2. Variante kommt es Ihnen nicht so sehr auf das Ratifizierungsgesetz an, sondern vielmehr auf die Veränderung des Vertrages zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Dort hätten Sie sich an das in Kapitel 4 dieses Vertrages festgelegte Verfahren zur Gewährung von Finanzhilfen gestoßen. Kapitel 4 dieses Vertrages lautet:
„ARTIKEL 5
Gouverneursrat
Jedes ESM-Mitglied ernennt ein Mitglied des Gouverneursrats und ein stellvertretendes Mitglied des Gouverneursrats. Die Ernennungen können jederzeit widerrufen werden. Das Mitglied des Gouverneursrats ist ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen. Das stellvertretende Mitglied des Gouverneursrats ist bevollmächtigt, bei Abwesenheit des Gouverneursratsmitglieds in dessen Namen zu handeln.

(…)
KAPITEL 4
TÄTIGKEIT
ARTIKEL 12
Grundsätze
• Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar, so kann der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren. Diese Auflagen können von einem makroökonomischen Anpassungsprogramm bis zur kontinuierlichen Erfüllung zuvor festgelegter Anspruchsvoraussetzungen reichen.
• Unbeschadet des Artikels 19 kann die ESM-Stabilitätshilfe mittels der in den Artikeln 14 bis 18 vorgesehenen Instrumente gewährt werden.
• Ab 1. Januar 2013 enthalten alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.
ARTIKEL 13
Verfahren für die Gewährung von Stabilitätshilfe
• Ein ESM-Mitglied kann an den Vorsitzenden des Gouverneursrats ein Stabilitätshilfeersuchen richten. In diesem Ersuchen wird angegeben, welche(s) Finanzhilfeinstrument(e) zu erwägen ist/sind. Bei Erhalt eines solchen Ersuchens überträgt der Vorsitzende des Gouverneursrats der Europäischen Kommission, im Benehmen mit der EZB, die folgenden Aufgaben:
a) das Bestehen einer Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten zu bewerten, es sei denn, die EZB hat bereits eine Analyse nach Artikel 18 Absatz 2 vorgelegt;
b) zu bewerten, ob die Staatsverschuldung tragfähig ist. Es wird erwartet, dass diese Bewertung, wann immer dies angemessen und möglich ist, zusammen mit dem IWF durchgeführt wird;
c) den tatsächlichen oder potenziellen Finanzierungsbedarf des betreffenden ESM-Mitglieds zu bewerten.
• Auf der Grundlage des Ersuchens des ESM-Mitglieds und der in Absatz 1 genannten Bewertung kann der Gouverneursrat beschließen, dem betroffenen ESM-Mitglied grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren.
• Wird ein Beschluss nach Absatz 2 angenommen, so überträgt der Gouverneursrat der Europäischen Kommission die Aufgabe, – im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF – mit dem betreffenden ESM-Mitglied ein Memorandum of Understanding (“MoU”) auszuhandeln, in dem die mit der Finanzhilfefazilität verbundenen Auflagen im Einzelnen ausgeführt werden. Der Inhalt des MoU spiegelt den Schweregrad der zu behebenden Schwachpunkte und das gewählte Finanzhilfeinstrument wider. Gleichzeitig arbeitet der Geschäftsführende Direktor des ESM einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität aus, der unter anderem die Finanzierungsbedingungen sowie die gewählten Instrumente enthält und vom Gouverneursrat anzunehmen ist. Das MoU steht in voller Übereinstimmung mit den im AEUV vorgesehenen Maßnahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung, insbesondere etwaiger Rechtsakte der Europäischen Union, einschließlich etwaiger an das betreffende ESM-Mitglied gerichteter Stellungnahmen, Verwarnungen, Empfehlungen oder Beschlüsse.
• Die Europäische Kommission unterzeichnet das MoU im Namen des ESM, vorbehaltlich der vorherigen Erfüllung der in Absatz 3 ausgeführten Bedingungen und der Zustimmung des Gouverneursrats.
• Das Direktorium billigt die Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität, die die finanziellen Aspekte der zu gewährenden Stabilitätshilfe im Einzelnen regelt und – soweit anwendbar – die Auszahlung der ersten Tranche der Hilfe.
• Der ESM richtet einen angemessenen Warnmechanismus ein, um sicherzustellen, dass er jedwede im Rahmen der Stabilitätshilfe fällige Rückzahlungen des ESM-Mitglieds fristgerecht erhält.
• Die Europäische Kommission wird – im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF – damit betraut, die Einhaltung der mit der Finanzhilfefazilität verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen zu überwachen.“

Um Ihre Position der 2. Variante zu vertreten, hätten Sie überlegen können, Artikel 13 Absatz 4 dieses Vertrages neu zu fassen. Nach Artikel 5 besteht der Gouverneursrat ja aus den Finanzministern der Mitgliedsländer, mithin aus Mitgliedern der Exekutive. Wenn Sie nun möchten, dass nicht die Exekutive, sondern die Parlamente über die Bedingungen zur Finanzhilfe entscheiden, dann könnte mit der Änderung des Artikel 13 Absatzes 4 Ihrem Anliegen möglicherweise Genüge getan werden. Beispielsweise könnten Sie vorschlagen, dass dieser Absatz wie folgt geändert wird:

„(4) Die Europäische Kommission unterzeichnet das MoU im Namen des ESM, vorbehaltlich der vorherigen Erfüllung der in Absatz 3 ausgeführten Bedingungen und der Zustimmung der nationalen Parlamente aller Mitgliedsländer sowie desjenigen Landes, welche die Finanzhilfe beantragt hat.“

Um Ihre Position durchzusetzen, würden Sie zunächst über den ESM-Vertrag mit „Nein“ abstimmen. In der dann folgenden Abstimmung darüber, ob der ESM-Vertrag an den Finanzausschuss überwiesen werden soll, würden Sie mit „Ja“ stimmen. In der Einzelabstimmung über jeden Artikel dieses Vertrages würden Sie einen Änderungsvorschlag zu Artikel 14 Absatz 4 einbringen, wie oben formuliert. Stimmt die Mehrheit für Ihren Änderungsvorschlag und wird zugleich das geforderte Quorum erfüllt, gilt Ihr Änderungsvorschlag als angenommen. Nach Abstimmung über alle anderen Artikel wird der ESM-Vertrag dann dem Plenum zur Abstimmung übersandt. Dort würden Sie dann der Gesetzesvorlage zustimmen. Wenn die Mehrheit im Plenum Ihrem Abstimmungsverhalten folgt, gilt die Gesetzesvorlage als angenommen. Der ESM-Vertrag wäre mit der Ihnen wichtigen Änderung angenommen worden. Sie können in der Folge dann dem Ratifizierungsgesetz und dem Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus zustimmen. Gleichzeitig hätten Sie Gewähr dafür, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Euro-Mitgliedsländern, Parlamente (und nicht Regierungen) über die Gewährung von Finanzhilfe abstimmen.
Wäre die Ausschussmehrheit Ihrem Änderungsvorschlag nicht gefolgt und wäre mithin der ESM-Vertrag an das Plenum ohne die von Ihnen vorgeschlagene Veränderung der Zustimmung durch die nationalen Parlamente übersandt worden, hätten Sie vermutlich im Plenum gegen den ESM-Vertragstext, wie er vom Finanzausschuss beschlossen wurde, gestimmt und gehofft, dass die anderen Volksparlamentarier.eu ebenfalls gegen die (geänderte) Gesetzesvorlage gestimmt hätten. Wären Sie mit Ihrer Auffassung auch hier in der Minderheit, hätten Sie die Möglichkeit, das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus dahingehend zu ändern, dass nicht Geheimniskrämerei, sondern parlamentarische Transparenz herrschen möge, wenn es um Finanzhilfen und den bundesdeutschen Haushalt geht. Sie würden dann versuchen, die in diesem Gesetz geschaffenen Befugnisse eines „Sondergremiums“ zu beschneiden.
In der Variante 3, wir erinnern uns: Ihnen ist das aufzubringende Kapitalvolumen zu hoch, würden Sie dem Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus nur zustimmen, wenn § 1 Abs. 1 und Abs. 2 entsprechend geändert würden. Dort wird der Finanzminister nämlich ermächtigt, die mehr als 21 Milliarden Euro an den ESM zu überweisen und Bürgschaften für die weiteren mehr als 168 Milliarden Euro einzugehen. Ohne diese Ermächtigung müsste der ESM-Vertrag auch dann geändert werden, wenn er im Bundestag gar nicht zur Abstimmung stand. Internationale Verträge unterliegen nämlich grundsätzlich dem Parlamentsvorbehalt. Sie hätten dann mithin zunächst das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus abgelehnt, dann zugestimmt, dass dieses Gesetz dem Finanzausschuss übersandt wird, in den Detailabstimmungen zu § 1 Abs. 1 und Abs. 2 jeweils Ihre Änderungsanträge eingebracht und dem Gesetz im Erfolgsfalle (Mehrheit und Quorum wurden erzielt) im Plenum zugestimmt.
Auch ohne große Verwirrung hätten Sie Ihr Abstimmungsverhalten im Volksparlament entsprechend der vier Varianten gestalten können. Grundsätzlich lassen sich alle Verordnungen und Gesetze abstimmen, die auf europäischer, nationaler und der Ebene der Bundesländer zur Abstimmung stehen. Und wenn Sie erst einmal auf kontinuierlicher Basis über diese Gesetze abstimmen, werden Sie sehen: es übt sich. Während ich vor etwa einem Jahr noch mehrere Stunden in der Woche mir die Gesetze durchlesen und sie verstehen musste, benötige ich heute weit weniger Zeit hierfür.

Noch kurz einen Hinweis auf die Aufgabe des Moderators: Er/Sie hätte die Reihenfolge festgelegt in der über die drei sich ergänzenden Gesetzesentwürfe abgestimmt wird. Seine Entscheidung ist durch den Rat überprüfbar. Das Sekretariat hätte ihn bei der Durchführung der Abstimmung logistisch unterstützt. Der Rat hätte nach erfolgter Abstimmung die Kommunikation zum Deutschen Bundestag übernommen.