1.2. Gewaltenteilung als Garant demokratischer Freiheit

1.2. Gewaltenteilung als Garant demokratischer Freiheit

Ein demokratischer Rechtsstaat teilt seine Macht in drei Gewalten auf:
• Der gesetzgebenden Gewalt (Legislative)
• Der die Gesetze ausführenden Gewalt (Exekutive)
• Der Rechtsprechung (Judikative)

Diese Gewaltenteilung ist deshalb so wichtig, weil ohne sie Demokratie nicht leben kann. Gewaltenteilung gewährleistet die Begrenzung der Macht, sie fördert die Kernelemente der Demokratie: Freiheit und Gleichheit. Absolutismus, Monarchie und Diktatur zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass es keine Gewaltenteilung gibt. Der Monarch, der Diktator erlässt ein Gesetz, er weist seine staatlichen Organe an, dieses Gesetz umzusetzen und er richtet über im Einzelfall empfundenes oder tatsächlich geschehenes Unrecht. Ist der Monarch „gut“, können alle zufrieden sein. Aber: Es ist ein Willkürstaat. Denn auf den Monarchen ist alle Macht konzentriert. Mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 ging die Weimarer Demokratie unter, weil die Exekutive, also Hitlers Reichsregierung, nunmehr direkt Gesetze verabschieden konnte. Weil es Nationalsozialismus in Deutschland nie wieder geben sollte, schreibt unser Grundgesetz, unsere Verfassung, unwiderruflich und unabänderlich vor: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ (Artikel 20, Absatz 3 GG)

Deshalb ist es eines der wesentlichen Grundsätze unserer Nachkriegsdemokratie, dass das Wesentliche vom Parlament im Rahmen eines Gesetzes entschieden werden muss. Im Parlament wird entschieden, nicht im Kabinett der Bundesregierung oder in einer Fernseh-Talkshow.
Anmerkung: Das musste ich jetzt wiederholen, weil die Realitäten bisweilen anders aussehen. Die Realitäten haben unsere Demokratie soweit entstellt, dass es schon naiv (oder, je nach Spielart, nach parteipolitischem Manöver) klingt, wenn man an das Gewissen des Abgeordneten appelliert und ihn auffordert, den Fraktionszwang zu missachten. Und natürlich weiß ich: Wenn das Bundeskabinett einen Beschluss gefasst hat, ist ein Gesetz faktisch beschlossene Sache, weil die „Mehrheitsverhältnisse“ im Bundestag eindeutig sind. Aber: In diesem Kapitel 1 geht es darum, wie Demokratie nach dem Willen unserer Verfassung sein soll. Wer das nicht zu lesen aushält, der möge gleich zu Kapitel 2 vorblättern. Da geht es darum, wie Demokratie ist – und woran sie meines Erachtens krankt.

Also noch einmal: Das Wichtige wird im Parlament entschieden. Diesen Grundsatz nennt man den Parlamentsvorbehalt. In der Parlamentarischen Demokratie stellt sich die Opposition in der Regel als die bessere Regierung in der Warteschleife dar. Sie glaubt, die besseren Argumente zu haben, ist aber selbst nicht mit der Macht betraut, diese „andere“ Politik durchsetzen zu können. Deswegen prägte Franz Müntefering mal den Satz: „Opposition ist scheiße.“ Wer die Macht hat, Politik zu gestalten, muss sie in der Regel nicht begründen: „Basta“-Politik ist hier zum Synonym dieser Machtdemonstration in den Schröder-Jahren geworden. Nur: Wer sich der politischen Debatte entzieht, wird bald ins Hintertreffen gelangen und den Machterhalt gefährden. Das Gleichgewicht zwischen Partei und Fraktion, die Notwendigkeit zur Einbindung all derjenigen, die Entscheidungsträger oder Meinungsmacher sind, ist die Kunst einer moderierten politischen Kultur, welche die Macht auf längere Sicht gesehen stabilisiert. Diese Moderation beherrscht Angela Merkel wie niemand sonst in der deutschen, ich traue mich zu sagen: in der europäischen Politik. Das Muster: inhaltliche Zustimmung gegen Einbindung in den Entscheidungsprozess geht in fast allen Fällen auf; denn dieses Muster ist ein gewichtiges Werkzeug psychologischer Machtentfaltung. „Ein kluger Fürst muß daher auf Mittel denken, zu bewirken, daß seine Unterthanen seine Herrschaft beständig und zu allen Zeiten und unter allen Umständen bedürfen – dann werden sie ihm treu bleiben“, hat der florentinische Politiker und Philosoph Niccolò Macchiavelli in seinem „Buch vom Fürsten“ (S. 67) bereits im Jahr 1513 geschrieben.

Was im Jahr 1513 Realität war, trifft auch heute, 500 Jahre später, im Kern zu. Und so sehen wir einen Politikbetrieb, der in seiner Komplexität hoch professionell abläuft, über den (ebenfalls!) sehr professionell berichtet wird. Im Zusammenspiel dieser Kräfte wird professionell Politik gemacht. Da werden Themen gesetzt, politisch analysiert und eingeordnet, da werden Vorschläge unterbreitet, diskutiert und abgewogen, da entsteht Meinung und es werden Meinungsmacher geboren oder abgesägt, dann wird es politisch gekaut und verdaut. “Entscheidend ist, was hinten rauskommt.”, sagte Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Pressekonferenz am 31. August 1984 mit Verweis auf einen von vielen als „chaotisch“ empfundenen zurückliegenden Sommer, mit politischen Themen der nahenden Umweltkatastrophe durch „sauren Regen“ und einem anstehenden Besuch des damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker aus der DDR.

Auf der „politischen Bühne“ werden rastlos immer neue Stücke inszeniert, mit wechselnder Besetzung zwar, aber dennoch mit Ernsthaftigkeit und Verve, mit Ereignissen, die uns den Atem rauben, um uns schließlich, der Katharsis guten Schauspiels ähnlich, zu erlösen. „Hurra, wir leben noch!“, titelte der Spiegel im Januar 2013 in Anspielung an Johannes Mario Simmels Roman der „Wilden Fünfziger“, weil die Währungsunion noch nicht kollabiert ist, wie noch auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2012 in Davos vorhergesagt.

Und so könnte ich fortfahren mit den vielen Ereignissen und Debatten, mit der Ratlosigkeit, dem Bangen, mit dem Aktionismus und der Symbolpolitik, die den Problemen unserer Tage auf dem Fuße folgt. Wir alle haben viele Erinnerungen und Beispiele im Kopf, die uns bewegen, die politisch bearbeitet und beantwortet werden. Nur: Während mir Sätze wie die oben zitierten im Ohr sind, ich mich an Interviews und Bilder über solche Ereignisse erinnere: selten ist mir die konkrete Abstimmung im Parlament vor Augen, die über die Dinge entschied. Klar – Nato-Doppelbeschluss 1979, das Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt 1982, , Einigungsvertrag 1990, Berlin als Hauptstadt 1991, Kosovo-Beteiligung 1999, Hartz-Gesetze 2002, ESFS 2010 und ESM 2012 und, wenn ich genau nachdenke, fallen mir sicherlich noch einige andere Entscheidungen mehr ein, wenn ich über konkrete Entscheidungen des Bundestages nachdenke. Aber: Im Bundestag wird ja während der Sitzungsperiode jede Woche entschieden.

Vielleicht ist es hilfreich, die Töne und Bilder auszublenden und sich anzuschauen, welche Gesetze verabschiedet werden.

Nehmen wir als Beispiel die 232. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22.03.2013. Dieses Beispiel wähle ich ausschließlich deshalb, weil ich heute, am 22.03.2013, an diesem Kapitel schreibe und ich einfach geschaut habe, was heute im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Und stellen Sie sich vor, Sie und ich wären fraktionslose Abgeordnete des Deutschen Bundestages.

Hinweis: Sie brauchen den nachfolgenden eingerahmten Text nicht zu lesen, um meiner Argumentation zu folgen. Wichtig ist mir hier, einen Beleg dafür zu geben, dass der Deutsche Bundestag absolut professionell funktioniert. Wir können uns darauf verlassen, dass die Positionen aller Parteien inhaltlich korrekt wiedergegeben werden; kurz und prägnant. Es wird deutlich, wo die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien verläuft.

Heute, am 22.3.2013 gibt es die zweite und dritte Lesung des von der SPD eingebrachten Entgeltgleichheitsgesetzes „Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebotes für Frauen und Männer“ (Drucksache 17/9781), einen Antrag der CDU/CSU und FDP „Entgeltgleichheit für Frauen und Männer verwirklichen – Familienfreundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter“ (Drucksache 17/12782) und schließlich einen Antrag der Bündnis90/Die Grünen „Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskriminierung von Frauen verhindern“  (Drucksache 17/8897).
Dem Parlament lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor, den Entwurf eines Entgeltgleichheitsgesetzes abzulehnen, den Antrag der CDU/CSU und FDP anzunehmen und den Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen abzulehnen (Drucksache 17/12575). Die Positionen der einzelnen Fraktionen sind in der Beschlussempfehlung wie folgt zusammengefasst:
„Die Fraktion der SPD stellte im Rahmen der Beratungen fest, dass sich alle Fraktionen einig in der Kritik an der großen Lohnlücke in Deutschland seien. In Deutschland bestehe nach Estland und Österreich die größte Lohnlücke in Europa. Es gebe jedoch unterschiedliche Lösungsansätze, wie mehr Entgeltgleichheit erreicht werden könne. Schon die Überschrift des Antrags der Koalitionsfraktionen zeige, dass sie diesbezüglich keinen großen politischen Gestaltungswillen hätten. Es gebe in Deutschland bei der Lohnlücke ein großes Gefälle zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord und Süd. In Bayern betrage der Entgeltunterschied durchschnittlich 26 Prozent und in Baden-Württemberg durchschnittlich 27 Prozent. Trotz vielfacher Protestaktionen habe sich bislang letztlich nichts geändert. Es führe nicht weiter, für mehr Familienfreundlichkeit zu werben, wie dies in dem Antrag der Koalitionsfraktionen geschehe. Bei dem gestrigen Familiengipfel sei einmal mehr an die Unternehmen appelliert worden, familienfreundliche Arbeitszeiten festzulegen. Ebenso habe man sich dort für ein Rückkehrrecht auf Vollzeit ausgesprochen, wenn eine Frau vorher aus familiären Gründen auf Teilzeitarbeit umgestiegen sei. Konkrete Maßnahmen hierzu würden jedoch nicht ergriffen. Die Wirtschaft habe sich diesen Überlegungen nicht einmal ansatzweise angeschlossen und fordere sogar Kürzungen beim Elterngeld. Da bloße Appelle nicht weiterführten, unterstütze die SPD-Fraktion Demonstrationen gegen die Lohnlücke, um für das Thema zu sensibilisieren, und lege einen Gesetzentwurf vor, um Entgeltgleichheit durchzusetzen. Bei der gemeinsamen öffentlichen Anhörung mit dem Ausschuss für Arbeit und Soziales sei von der Fraktion der CDU/CSU das Argument der Bürokratie gegen den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorgebracht worden. Der Gesetzentwurf sei jedoch in Wirklichkeit nicht bürokratisch. Unternehmen, bei denen es keine Lohndiskriminierung gebe, hätten keine Probleme damit, sich transparenten Verfahren zur Herstellung von Entgeltgleichheit zu unterziehen. Um das Vorhandensein einer mittelbaren Diskriminierung beim Entgelt feststellen zu können, müsse man wissen, welche Löhne gezahlt würden. Nach der Rechtsprechung sei geklärt, dass die Mitarbeiter in den Betrieben über ihr Gehalt offen sprechen dürften. Soweit das Fehlen eines Verbandsklagerechts in dem Gesetzentwurf bemängelt werde, so sei festzustellen, dass sich die Fraktion der SPD in anderen parlamentarischen Initiativen zum AGG bereits für ein solches Klagerecht ausgesprochen habe. Mit dem Gesetzesvorschlag der SPD-Fraktion werde ein auf zehn Jahre angelegter Prozess, eine Dekade für mehr Lohngleichheit, in Gang gesetzt, der mit großen Unternehmen beginnen und dann auf kleinere Unternehmen übergehen solle. Da der Ansatz der Freiwilligkeit gescheitert sei, werde man den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP ablehnen.
Die Fraktion der CDU/CSU erklärte, der Weltfrauentag am 8. März und der „Equal Pay Day“ am 21. März seien ein Anlass, noch einmal über die Entgeltlücke und vor allem auch über die daraus erwachsende Rentenlücke nachzudenken und für die Problematik zu sensibilisieren. Die Ursachen hierfür seien vielfältig, so dass es nicht ausreiche, mit einem Gesetz die Probleme lösen zu wollen. Ein wesentlicher Grund für die Lohnlücke seien die Erwerbsunterbrechungen von Frauen. Da Familie auch Zeit brauche, helfe es nicht weiter, diese vermeiden zu wollen, indem die Frauen sofort nach der Geburt ihre Erwerbstätigkeit fortsetzten. Deshalb wirke die CDU/CSU-Fraktion darauf hin, dass die Familienarbeit partnerschaftlich aufgeteilt werde. So habe man bei der Elternzeit auch Vätermonate eingeführt. Außerdem habe die Koalition das Programm „Familienbewusste Arbeitszeiten“ gestartet, mit dem Unternehmen beispielsweise dafür sensibilisiert würden, dass auch junge Väter die Elternzeit in Anspruch nähmen. Darüber hinaus wolle man erreichen, dass sich die Erwerbsunterbrechungen nicht in der Rente widerspiegelten. Deshalb sei in dem Entwurf eines Betreuungsgeldergänzungsgesetzes eine Option für eine zusätzliche private Altersvorsorge vorgesehen. Dies sei ein Fortschritt beim Thema „Gender Pension Gap“. Schließlich setze man sich dafür ein, dass für Frauen, die vor 1992 Kinder geboren hätten, mehr Rentenpunkte anerkannt würden. Die hohe Teilzeitquote sei ein weiterer Grund für die Entgeltlücke. Um die hohe Teilzeitquote von Frauen zu senken, denke man über ein Recht auf eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit für Frauen nach, die vorher aus familiären Gründen auf Teilzeit umgestiegen seien. Hier sehe man große Entwicklungspotenziale. Diese könne man allerdings nur dann ausschöpfen, wenn es genügend Betreuungsplätze in Kindertagesstätten und bei Tagesmüttern bzw. -vätern gebe. Vor diesem Hintergrund würden nunmehr zusätzlich 580,5 Mio. Euro in den Kinderbetreuungsausbau investiert. Die CDU/CSU-Fraktion halte es für notwendig, dass von Seiten des Bundes eine Initiative ergriffen werde, damit die Unternehmen die betriebliche Kinderbetreuung ausbauten. Darüber hinaus müsse sich die Bewertung typischer Frauenberufe ändern. Die Tariffindung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern sei das Thema des „Equal Pay Day“ im vergangenen Jahr gewesen. Bewegung gebe es auch beim Berufswahlverhalten der Frauen und beim Thema Frauen in Führungspositionen. Die Fortschritte seien deutlich erkennbar, auch wenn das Ergebnis noch nicht gut genug und die Entwicklung nicht schnell genug sei. Insgesamt habe sich sehr viel bewegt, so dass ein Entgeltgleichheitsgesetz, das Unternehmen ab 15 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Berichtspflicht auferlege, nicht notwendig sei. Dies sei mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden, der in keinem Verhältnis zu dem von der CDU/CSUFraktion ebenfalls angestrebten Ziel stehe, mehr Entgeltgleichheit zu erreichen. Deshalb werde man den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion ablehnen.
Die Fraktion DIE LINKE. wies darauf hin, dass 65 Prozent der Frauen im Niedriglohnsektor beschäftigt seien. Dies sei ein wesentlicher Grund dafür, dass Frauen für gleichwertige Arbeit nicht gleich bezahlt würden. Demgegenüber sähen die Koalitionsfraktionen den Umstand, dass Frauen sich um die Familie kümmerten, zu Unrecht als einen Hauptgrund für die Lohnlücke an. Es gebe sogar bei gleichen Tätigkeiten eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die im Laufe des Berufslebens gravierende Ausmaße erreiche. Der Antrag der Koalitionsfraktionen sei ein reiner „Schaufenster“-Antrag. Darin werde einmal mehr festgestellt, dass es Handlungsbedarf gebe. Allerdings enthalte er keine konkreten Vorschläge, wie die Lohnlücke durch gesetzgeberische Maßnahmen geschlossen werden könne. Stattdessen enthalte er eine Reihe von Prüfaufträgen. Man werde den Antrag ablehnen. Auch der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion liefere nicht die richtigen Antworten auf die Frage, wie Entgeltgleichheit erreicht werden könne. Er nenne keine konkreten Prüfinstrumente, wie das Bestehen der Lohnlücke festgestellt werden solle. In einem zweiten Schritt werde es den Tarifvertragsparteien und den Antidiskriminierungsverbänden ermöglicht, ein Gericht anzurufen, um ein Bußgeldverfahren durchzuführen. Es sei jedoch zweifelhaft, ob die Höhe der Bußgelder ausreichend sei, um ungleiche Bezahlung zu verhindern. Zumindest fehle insoweit ein Hinweis auf notwendige flankierende Maßnahmen. Schließlich sei in dem Gesetzentwurf kein Verbandsklagerecht verankert. Vor diesem Hintergrund werde man sich zu dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion der Stimme enthalten.
Die Fraktion der FDP führte aus, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei in Bezug auf die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ein entscheidender Punkt. Die Koalition könne hier eine sehr gute Bilanz vorweisen. Der Bund habe nachhaltig in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Seit Jahren unterstütze der Bund die Länder bei der Finanzierung zusätzlicher Betreuungsplätze in Kitas und in der Kindertagespflege. Insgesamt stelle der Bund den Ländern bis 2014 fast 5,4 Mrd. Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung. Zusätzlich werde der Bund ab 2015 den dauerhaften Betrieb der neu geschaffenen Kitaplätze mit jährlich 845 Mio. Euro unterstützen. So leiste die Koalition ihren Beitrag dazu, den Rechtsanspruch ab August 2013 zu sichern. Mit der Fortsetzung des Programms „Betriebliche Kinderbetreuung“ werde gezielt die Schaffung von Betreuungsplätzen durch die Betriebe für die Kinder der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefördert. Eine verlässliche hochwertige und flexible Kinderbetreuung sei für berufstätige Eltern von wesentlicher Bedeutung. Damit unterstütze die Koalition die Berufstätigkeit und den frühen Wiedereinstieg von Müttern und Vätern, auch wenn klar sei, dass es noch immer vor allem die Frauen seien, die die Hauptverantwortung für die Betreuung der Kinder übernähmen. Für Unternehmen sei Familienfreundlichkeit ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im „Rennen“ um gute Fachkräfte. Deshalb sei es erfreulich, dass immer mehr Betriebe eine eigene Betriebskita bauten und kleinere Betriebe die Möglichkeit hätten, Belegplätze bei den kommunalen Einrichtungen zu reservieren. Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei das sehr erfolgreiche Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“, bei dem sich mittlerweile mehr als 4 500 Unternehmen zusammengeschlossen hätten. Die ebenso erfolgreiche „Charta für familienbewusste Arbeitszeiten“ werde die Koalition evaluieren und weiterentwickeln. Familien bräuchten flexible Arbeitszeitregelungen, die ihren Bedürfnissen entsprächen, sowie die Möglichkeit für Telearbeit und JobSharing. Die FDP-Fraktion setze sich für mehr Offenheit und für Alternativen zur herrschenden Präsenzkultur ein. Vor diesem Hintergrund sei das auf dem Familiengipfel gezeigte Engagement der Wirtschaft sehr erfreulich. Die Kinder- und Familienfreundlichkeit in Deutschland werde damit ein großes Stück voran gebracht. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln habe im Januar Zahlen vorgelegt, wonach die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen gerade noch 2 Prozent betrage, wenn eine Frau zur Kinderbetreuung nur noch 18 Monate zu Hause bleibe. Das zeige, dass Wirtschaft und Politik beim Abbau der Lohnlücke mit der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf dem richtigen Weg seien. Die Fraktion der FDP setze auf Fairness, Transparenz und Chancengleichheit. Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation müsse selbstverständlich sein. Man begrüße daher die Analyse der Gehaltsstrukturen in Betrieben unter Wahrung persönlicher Daten z. B. durch das „Web-Tool Logib-D“. Die FDP-Fraktion werde den von der Fraktion der SPD vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen, da er zu viel Bürokratie und zu einer Beschränkung der Verhandlungsspielräume für Arbeitnehmer und Arbeitgeber führe, ohne dass dies mit einem erkennbaren Nutzen verbunden sei.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte fest, der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP führe zwar viele richtige Punkte zum Thema Familienpolitik auf, jedoch würden im Ergebnis keine Maßnahmen ergriffen. Mit Entgeltgleichheit habe der Antrag nur indirekt zu tun. Auf konkrete Ursachen werde kaum eingegangen. Das einzig Positive in dem Antrag sei, dass die Bundesregierung aufgefordert werde, die Tarifpartner beim Aufbau der Arbeitsbewertungsverfahren zu unterstützen. Die Koalitionsfraktionen hätten also zumindest erkannt, dass es auch eine mittelbare Diskriminierung gebe und dass es nicht nur auf die Familienphasen und die schlechtere Erwerbstätigkeit von Müttern ankomme. In der öffentlichen Anhörung am 18. Februar 2013 hätten die von den Koalitionsfraktionen benannten Sachverständigen im Grunde genommen in Abrede gestellt, dass es überhaupt eine Entgeltlücke gebe. Problematisch sei auch, dass der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP weiterhin auf das summarische Arbeitsbewertungsverfahren Logib-D setze. Demgegenüber benötige man jedoch ein analytisches Bewertungsverfahren, das die Ursachen für Lohnungleichheit, an denen anzusetzen sei, aufzeige. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werde vor diesem Hintergrund den Antrag der Koalitionsfraktionen ablehnen. Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD stimme in seiner Ziel- und Stoßrichtung mit den Auffassungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überein. Unverständlich sei lediglich, dass der Gesetzentwurf kein Verbandsklagerecht vorsehe, zumal stets Einigkeit mit der Fraktion der SPD über die grundsätzliche Notwendigkeit eines Verbandsklagerechts bestanden habe. Der von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte Antrag auf Drucksache 17/8897, der federführend vom Ausschuss für Arbeit und Soziales beraten worden sei, setze zwar einige andere Schwerpunkte, unterscheide sich aber insgesamt nicht maßgeblich vom Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Es gehe darum, die Hauptbotschaft zu vermitteln, dass man endlich ein Entgeltgleichheitsgesetz brauche. Deshalb werde man dem Gesetzentwurf zustimmen.“

Das ist Parlamentsarbeit, die nachvollziehbar ist und von der Aufgeregtheit unserer Tage etwas Abstand nimmt: Die Positionen liegen klar auf der Hand; jede und jeder kann entscheiden, welcher Weg am sinnvollsten ist. Sie sehen aber auch: dies ist ein Thema, zu dem nicht nur Berufspolitiker eine Meinung haben können, sondern Sie und ich auch.

Ich habe von diesem 232. Sitzungstag des Deutschen Bundestages folgendes gelernt:

• fand ich das Thema wichtig.
• habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Positionen der einzelnen Fraktionen hinlänglich gut in der Beschlussempfehlung des Ausschusses zusammengefasst wurden, so dass ich in der Lage war, diese Positionen nachzuvollziehen.
• hatte ich dann die Möglichkeit, auf das Protokoll des Ausschusses zurückzugreifen, weil ich mir dort die Positionen einzelner Fachverbände und Sachverständige zusätzlich zu der Empfehlung des Ausschusses vergegenwärtigen wollte.
• fühle ich mich jetzt in der Lage, mir eine eigene Position zu dieser Sachfrage zu erarbeiten.
• fand ich es faszinierend, wie transparent der Deutsche Bundestag alle diese Dokumente barrierefrei im Internet präsentiert.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass das Parlament unter allzu hohem Zeitdruck gearbeitet hatte. Der Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion wurde bereits im Juni 2012 an den Ausschuss überwiesen. Es fand eine öffentliche Anhörung einer Reihe von Sachverständigen im Februar 2013 statt es gab eine abschließende Beratung des Ausschusses am 13. März 2013. Wer mithin die Debatte seit Juni 2012 verfolgte, konnte sich gründlich auf die Abstimmung am 22.3.2012 vorbereiten. Und das mit erstaunlich wenig Zeitaufwand: Die Informationen sind durchweg gut aufbereitet und sofort zugänglich. Deshalb musste man nicht lange suchen; ich konnte lesen und nachdenken, welche Position ich für die richtige halte.

Weil ich seit einiger Zeit regelmäßig die Sitzungen des Deutschen Bundestages begleite, habe ich bereits ein wenig Routine im Auffinden der entsprechenden Protokolle und Dokumente. Heute benötige ich kaum noch Zeit, um mich über die abzustimmenden Themen betreffend ins Bild zu setzen. Aber ich merke: Ich nehme die Debatte des Deutschen Bundestages als für mich bereichernd wahr, weil ich Optionen zur Entscheidung habe.
Weil Sie und ich fraktionslose Abgeordnete sind, können wir nun frei nach unserer Fasson entscheiden. Für oder gegen den SPD-Entwurf? Für oder gegen den Antrag der CDU/CSU und FDP? Oder doch lieber für den Antrag der Bündnis90/Die Grünen?
Sollten Ihnen oder mir als fraktionslose Abgeordnete Informationen zur Entscheidungsfindung fehlen, könnten wir den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages bemühen, diese Informationen zu beschaffen oder sie entsprechend aufzuarbeiten.

Wie hätten Sie entschieden?

Ich hatte es mir nicht einfach gemacht, bin weiter in das Thema eingestiegen und habe mich mit den Positionen unterschiedlicher Verbände, mit Studien zur geschlechterspezifischen Lohn- und Gehaltsanalyse („Gender-Pay-Gap“) und mit der „Initiative Rote Tasche“ beschäftigt. Wie so häufig im Leben, stellt sich mir auch hier die Frage: Wem glaube ich? Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung? Dem Institut zufolge liegt die durchschnittliche Bezahlung von Frauen nur 2% unter der Bezahlung der Männer. Alles andere sei den Karrierebrüchen, der durch Kindererziehung kürzeren Berufserfahrung oder einer nicht oder nur unzureichenden berufsbegleitenden Qualifizierung zuzuschreiben. Glaube ich der Hans-Böckler-Stiftung? Dann liegt die durchschnittliche Unterbezahlung von Frauen bei über 20%. Reichen Appelle oder Bewusstseinsbildung? Sind flankierende Maßnahmen, wie eine verbesserte Kinderbetreuung, geeignet und ausreichend, um das Ziel zu erreichen oder bedarf es einer mit Sanktionen versehenen gesetzlichen Regelung? Ich finde es spannend, zu entscheiden.

Die 232. Sitzung der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages verlief ohne Überraschungen: Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wurde vollumfänglich gefolgt, mithin der Gesetzesentwurf der SPD abgelehnt, dem Antrag von CDU/CSU und FDP angenommen und der Antrag der Bündnis90/Die Grünen abgelehnt.

In derselben Sitzung wurde ein Antrag der Fraktion Die LINKE. zur Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei als Wirtschafts- und Finanzpolizeibehörde (Drucksache 17/12708) und ein Gesetzesentwurf aller Bundestagsfraktionen über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen beschlossen. Neben zwei resolutionsartigen Anträgen zur SED-Aufarbeitung und zur maritimen Wirtschaft war damit die Tagesordnung erschöpft. Die nächste Sitzung fand dann rund vier Wochen später, am 17. April 2013 statt.

Ich will damit sagen: Wenn man sich lediglich die Gesetzentwürfe herausgreift, über die eine Abgeordnete zu entscheiden hat, und all die Tätigkeiten außer Acht lässt, die eine Abgeordnete wahrnimmt, die jenseits dieser Abstimmungen liegen, dann ist der damit verbundene Zeitaufwand überschaubar. Und der Zeitraum zwischen einer ersten Lesung eines Gesetzentwurfes und der letztlichen Entscheidung im Bundestag ist hinreichend groß bemessen, um eine Entscheidung nicht über das Knie brechen zu müssen.

Wichtig für Sie und mich als fraktionslose Abgeordnete ist auch zu wissen, dass Sie und ich nur uns selbst verantwortlich sind. Ein Fraktionszwang, dass also alle Abgeordneten der Partei A so abstimmen müssen, wie dies der Fraktionsvorsitzende dieser Partei vorgibt, ist verfassungsrechtlich nicht geregelt. Im Gegenteil: Ein tatsächlicher Zwang, der einer Abgeordneten auferlegt, in einer bestimmten Frage so und nicht anders abzustimmen, wäre verfassungswidrig, weil Artikel 38 des Grundgesetzes garantiert: „Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Und genau so, wie wir entscheiden können, ist das verfassungsrechtliche Bild einer Abgeordneten: ähnlich einer Richterin, die über Recht und Unrecht in einem Einzelfall entscheidet, soll die Abgeordnete frei von äußeren Zwängen über einen Gesetzentwurf entscheiden.

Wenn wir entschieden haben – und zwar erst danach – kommt die Exekutive ins Spiel. Sie soll das von den Abgeordneten beschlossene Gesetz umsetzen. Selbstverständlich ist es hilfreich und wichtig, die Exekutive während des Gesetzgebungsverfahrens einzubinden. Man sollte die Verwaltung tunlichst befragen, ob ein Gesetz in der einen oder in der anderen Weise zielführend ist, ob es ein Problem zu lösen im Stande ist oder ob es neues Kopfzerbrechen auslöst. Handwerklich schlecht gemachte Gesetze sind ein Graus für jede, die im Alltag später mit diesen Gesetzen umzugehen, sie zu beachten hat. Deshalb ist eine Beratung durch die Verwaltung sinnvoll. ABER – und dieses ABER ist groß zu schreiben: Die Politik muss der süßen Verlockung widerstehen, dass die Verwaltung sich ihre Gesetze selber schreibt. Die Abgeordneten treffen die Entscheidung, die Verwaltung führt diese Entscheidung aus. Im Rahmen von beispielsweise Durchführungsverordnungen und Runderlassen werden diese Gesetze dann im Verwaltungswege umgesetzt.

Nehmen wir beispielsweise das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens, welches am 28. Juni 2012 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Vielleicht erinnern Sie sich: Das Gesetz sah vor, dass die Werbebranche und Adressenhändler ihre Daten durch Abgleich mit den Einwohnermeldeamtsdaten aktualisieren dürfen. Hätte der Bundesrat diesem Gesetz zugestimmt, wäre eine Durchführungsverordnung erlassen worden, damit der Sachbearbeiter im Einwohnermeldeamt vor Ort weiß, wie er mit einem Antrag einer Auskunftei auf Abgleich und Aktualisierung ihres Datensatzes umzugehen habe und wie beispielsweise sichergestellt wird, dass ein Widerspruch einer Bürgerin beachtet und sichergestellt wird, dass die aktualisierten Daten dieser Bürgerin nicht an eine solche Auskunftei weitergeleitet werden.

Mit anderen Worten: Das Parlament regelt das WAS, die Verwaltung/die Exekutive regelt das WIE.

Ich habe dieses Beispiel deshalb bemüht, weil es die Verantwortlichkeit von Politik unterstreicht und gleichzeitig verdeutlicht, dass die Verwaltung hoffnungslos überfordert gewesen wäre, wenn nach öffentlichem Protest der Bundesrat nicht in letzter Minute das Gesetz gestoppt hätte: handstreichartig hatten zwei Abgeordnete der CDU und der FDP unter Einbindung weniger Kollegen im Innenausschuss des Deutschen Bundestages zwei Tage vor der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes eine von jedem einzelnen Bürger erforderliche positive Einwilligung in die Verwendung seiner Daten ins Gegenteil verkehrt: wenn die Bürgerin nicht widerspricht, dürfen ihre Daten an eine Auskunftei weitergegeben werden. In der Folge hätten vermutlich Hunderttausende zu Papier und Feder gegriffen und der Weitergabe ihrer persönlichen Daten an eine Werbefirma oder an eine Auskunftei widersprochen. Das hätte dann eine weitere Kaskade von Maßnahmen ausgelöst: Die Widersprüche müssen von der Verwaltung bearbeitet und rechtsmittelfähige Bescheide erstellt werden; Computerprogramme müssen geändert werden, weil Datensätze zuverlässig von der Aktualisierung ausgeklammert werden müssen, wenn und soweit die diesen Datensatz betreffende Person Widerspruch gegen den Abgleich eingelegt hätte. Da ein Widerspruch mit sofortiger Wirkung gegolten hätte, wäre es notwendig geworden, auf täglicher Basis die eingehenden Widersprüche in die Datenbank einzupflegen, egal ob der Widerspruch in Flensburg oder Konstanz erklärt worden wäre. Deshalb wäre eine vorherige Einbindung der Verwaltung in den Gesetzgebungsprozess hilfreich gewesen, um die an das Gesetz gekoppelten Maßnahmen und die direkten Auswirkungen des Gesetzes abschätzen zu können. Aber: Das Parlament durfte das Gesetz so beschließen, wie es beschlossen wurde.

Wenn wir für einen Moment unterstellen, der Bundesrat hätte dem Gesetz ebenfalls zugestimmt, dann wäre nun die Rechtsprechung am Zug: Sobald eine Bürgerin gegen die Aktualisierung ihres Datensatzes den Rechtsweg beschritten hätte, wäre das Verwaltungsgericht berufen, über die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes zu befinden. Richter hätten dann geprüft, ob die Verwaltung einen Fehler bei der Anwendung des Gesetzes gemacht hat oder ob gar das Gesetz selbst gegen das Verfassungsrecht, wie beispielsweise dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder dem Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme verstößt. Wenn verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz bestehen, kann das Gericht die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Mit anderen Worten: Gerichte prüfen einerseits, ob die Verwaltung korrekt handelt. Sie prüfen andererseits, ob der Gesetzgeber korrekt handelt. Und zwischen diesen beiden Polen prüft das Gericht, ob bei verfassungskonformer Auslegung eines Gesetzes eine moderierte Praxis geboten ist, die aus einem für sich genommen den Anforderungen an die Verfassung nicht ausreichendem Gesetz eine verfassungskonforme Praxis werden lässt: beispielsweise, in dem die Verwaltung verpflichtet wird, eine Bürgerin über den Antrag eines Adressenhändlers auf Aktualisierung seines Datenbestandes schriftlich zu unterrichten und sie darüber aufzuklären, dass sie binnen einer Frist der Aktualisierung widersprechen muss, falls die Bürgerin mit der Weitergabe ihrer Daten nicht einverstanden ist.

Mit diesem Beispiel wollte ich verdeutlichen, dass die oben genannten drei Gewalten für sich genommen klar unterscheidbar sind. Jede dieser Gewalten hat eine wichtige, von den jeweils beiden anderen Gewalten klar getrennte Aufgabe. Dadurch, dass das Parlament die Verwaltung anweisen kann, etwas zu tun oder zu unterlassen und dadurch, dass Gerichte die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und die Rechtmäßigkeit von Gesetzen überwachen, wird Macht geteilt und überprüfbar. Diese Teilung der Gewalten ist der Kern unseres Rechtstaates. In dieser Gewaltenteilung und durch sie lebt unser Gemeinwesen, lebt unsere Demokratie.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat eine hilfreiche Grafik ins Netz gestellt, die die Gewaltenverschränkung anschaulich darstellt: http://www.bpb.de/politik/grundfragen/24-deutschland/40501/verfassungsorgane-und-gewaltenverschraenkung-interaktive-themengrafik

Die Kontrollmechanismen sind mannigfaltig und stabilisieren das System der Entscheidungsfindung. In einer fortschreitend komplexeren Gesellschaft mit zunehmend komplizierten Sachfragen bietet die Verschränkung der Gewalten Stabilität, Verlässlichkeit und Sicherheit.

Was wäre allerdings, wenn dies nur die Theorie wäre und die Praxis ganz anders funktionierte? Was, wenn beispielsweise das Parlament nicht mehr das WAS und die Verwaltung nicht das WIE bestimmt, sondern umgekehrt: wenn die Verwaltung bestimmt, WAS gemacht wird und das Parlament dazu degradiert wäre, nur mehr über das WIE zu befinden? Was, wenn gar nicht mehr klar ist, WER entscheidet?

Lassen Sie uns schauen, wie es um unsere Demokratie wirklich bestellt ist. Folgen Sie mir auf meinem subjektiven Weg, den Ist-Zustand unserer Demokratie zu beschreiben. Es ist beileibe keine vollständige Anamnese, keine umfassende Beschreibung des Krankheitsbildes unserer Demokratie. Aber es ist der Versuch einer ersten Befundung, die eine erste Diagnose ermöglicht. Ich würde mich freuen, wenn das nachfolgende Kapitel für Sie Anlass ist, über den tatsächlichen Stand unserer gelebten Demokratie nachzudenken.
Auf geht´s!